Von Mut und Menschsein
„Nein, lass es. Leute müssen das sehen.“
Es war dieser Satz, der dieser Tage mein Herz wie kein anderer bewegte. Und mich wie kein anderer bestärkte. Obwohl es wahrlich viele andere gab.
Ich habe schon oft davon berichtet, wie ich zum Thema Klima kam. Es war durch eine besondere Vorlesung am Freitag, den 29.11.2019, im Rahmen der damaligen Aktion Lectures for Future. Im November 2024 jährte sich dieses Ereignis zum fünften Mal; es war sogar wieder ein Freitag. Ich nahm das zum Anlass, um einen zweiten, aktualisierten Durchlauf der Vorlesung zu machen. Wie schon beim ersten Mal entstand dabei ein Videomitschnitt, der kurz danach knapp 13.000 Mal auf YouTube angesehen wurde.
Im Frühjahr 2025 postete ich dann einen kurzen, dreiminütigen Clip davon auf Bluesky. Eigentlich gar nichts Besonderes. Anderthalb Minuten Klimafakten. Und anderthalb Minuten persönliches Schlusswort. Es stieß auf starke Resonanz. Und mehrfach kam die Frage nach einer Version zum Teilen. Das inspirierte mich, den Ausschnitt auch als YouTube Short aufzubereiten und dort zu veröffentlichen. Mit etwas Verspätung tat ich dies Mitte Juli; unter dem Titel Von Maßstab und Menschlichkeit.
Zuerst passierte nicht viel. Aber Ende Juli ging der Clip plötzlich ziemlich rund. Er erreichte binnen weniger Tage 10.000 Aufrufe. Und kurz darauf dann 100.000. Hun-dert-tau-send! Noch nie zuvor hatte ich derart viel öffentliche Wahrnehmung.
Ich befand mich zu dieser Zeit wie jedes Jahr im Sommer in Schweden bei meiner Schwieger-Familie. Dort stand einiges an. Nach dem Tod meines Schwiegerpapas im Sommer 2023, den meine Frau damals wochenlang begleitete, ist nun das idyllische Haus am Waldrand aufzugeben. Die Geschwister sind uneins, was damit passieren soll. Und so gab es unter ihnen einiges zu besprechen. Und manche Träne dabei zu trösten. Auch mir selbst wurde wehmütig, als ich schließlich zum letzten Mal den langen Feldweg davon wegfuhr. Weg von diesem Ort der Ruhe und Geborgenheit, wo wir laue Sommer und stille Winter zusammen erlebten — in besseren Zeiten voll größerer Zuversicht und kleinerer Sorge.
Ich habe mich hier schon mal zum wohl schwersten Aspekt des Klima-Engagements geäußert: dem, was das für eine Familie
bedeutet. Ich habe zwei kleine Kinder im KiTa- und Grundschul-Alter. Viele, die hier mitlesen, wissen was das bedeutet. Ich kann nicht sagen, wie ich das vereine. Ich tue es vielleicht gar nicht. Zumindest nicht bewusst. Ich improvisiere mich einfach voran, von Tag zu Tag. Eine klare Linie gibt es nicht. Wenn eine Familienkrise überstanden scheint, schnürt die nächste schon die Schuhe. Ich denke, die meisten kennen das. Nur stell dir jetzt halt noch dazu vor, in diese Zeit knallen dir immer wieder neue Klima-Schockmomente rein. Die du selber verarbeiten musst. Und wo du probierst, dein Wissen in Verantwortung zu lenken — statt in Verdrängung. Während nebenher der tägliche Familienwirbel tobt, zwei Hauptberufe zu erledigen sind und auch die eigenen Eltern in eine Phase kommen, wo sich die Sorge umeinander gerade umkehrt.
Ich will hier nicht zu viel Privates preisgeben. Nur so viel: meine Familie musste in den vergangenen Jahren einiges mit mir aushalten. Die Jahre der Verarbeitung des Klimaschocks seit dem oben genannten Schlüsselereignis im November 2019 haben Spuren hinterlassen. Und ohne meine Frau wäre ich wohl längst an all der Schwere zerbrochen.
Umso mehr sah ich es nun als meine Aufgabe, ihr nun meinerseits Rückhalt und Stärke zu geben. Doch nun kam dieses Video dazwischen, das sich plötzlich rasant verbreitete. Und all die Reaktionen, die das mit sich bringt. Binnen weniger Tage gab es hunderte Kommentare auf YouTube. Einige Anrufe auf meiner Büronummer (die ich im Urlaub zum Glück nur angezeigt bekam, aber nicht beantworte). Und mehrere E-Mails. Mit der gesamten Palette an Reaktionen: Starker Zuspruch. Harsche Kritik. Zurechtweisung von der einen Seite, ich würde übertreiben und Panik verbreiten; und von der anderen, ich würde untertreiben und verharmlosen. Belehrungen aller Art und Ausdrucksweise. Unterstellungen, ich wolle mich bloß bereichern. Alle möglichen Varianten von Falschinformationen und Wissenschaftsleugnung. Manch wirre Anliegen, die ich nicht so ganz verstand. Und Äußerungen, dass die Zeit solch ideologischer Indoktrination an den Unis wohl endlich bald vorbei sei.
Sowas ist für mich inzwischen kein Neuland mehr. Schon mehrfach hatte ich früher auf Twitter Posts gemacht, die sich stark verbreiteten. Und erst im letzten Herbst war ein ähnlicher Videoclip ähnlich rund gegangen. (Damals nicht auf YouTube, sondern in den Ruinen von Twitter, nachdem einige größere Accounts den Inhalt dort gepostet und geteilt hatten.)
Schon immer hatte ich Probleme mit einer solch starken Wahrnehmung. Klar, ich suche natürlich die Öffentlichkeit, wenn ich Inhalte poste. Aber es gibt bei mir ganz klar ein Zuviel davon. Wenn die Woge sich zu hoch türmt, wird es mir zu heftig. Schon mehrfach habe ich dann Tweets wieder gelöscht. Einfach, weil es mir zu viel wurde; und ich nur noch Ruhe wollte.
Ich habe inzwischen ein Stück weit gelernt, damit umzugehen. Doch die Intensität dieses Videoclips hatte ich so noch nie erlebt. Und so erwog ich, ihn einstweilen nichtöffentlich zu stellen. Nicht ganz zu löschen. Aber einfach privat zu schalten. Um die Dynamik zu brechen; wenigstens für eine Weile. Ich postete meine Gedanken dazu auf Bluesky. Und bekam zweierlei Arten von Reaktionen.
Erstens: Zuspruch im Stil von „du hast unsere volle Solidarität“. Das klingt natürlich nett und ist bestimmt auch so gemeint. Aber mal ehrlich: Was heißt das denn? Im Ernstfall helfen mir keine netten Beistandsbekundungen im 300-Zeichen Format. Ich stehe mit Namen und (Dienst-)Anschrift in der Öffentlichkeit. Wenn mir Leute Mails voller Zorn schreiben oder im Büro irgendwelche bizarren Anrufe kommen, steht mir niemand bei. Und sollte mich wirklich mal jemand auch persönlich zur Rede stellen wollen, dann noch viel weniger. Klar, dass das passiert, ist nicht so wahrscheinlich. Aber bei genug Verbreitung eben auch nicht völlig auszuschließen. Und es reicht allein schon der Gedanke daran, um für Unbehagen zu sorgen.
Die Tage, in denen du nach öffentlichen Äußerungen, die etwas Reichweite entwickeln, einen Schwall von Reaktionen abbekommst, sind wirklich nicht schön. Ich bin immer froh, wenn es wieder vorbei ist. Vielleicht bilde ich mir da ja was ein. Oder nehme mich selbst zu wichtig. Doch die Beispiele dafür, wie Personen, die als politische Gegenkraft wahrgenommen werden, durch schlicht massiven öffentlichen wie persönlichen Gegenwind zu Fall gebracht werden, häufen sich. Und offenbar sind inzwischen auch Temperaturkurven und deren Einordnung politisch — oder werden zumindest so wahrgenommen. Im Zeitalter der Falschinformationen zählt nicht Erklärung, sondern Erregung. Nicht Stimmigkeit, sondern Stimmung. Und nicht Anstand, sondern Angriff.
Wirklich bemerkenswert aber fand ich die zweite Art von Reaktion: das Absprechen persönlicher Rechte. Einige Antworten an mich etwa gingen in folgende Richtung: „Ein öffentliches Wort gehört nicht mehr dir, sondern allen.“ Oder: „Du darfst das jetzt nicht mehr zurückziehen; es ist zu wichtig.“ Ich fand das fast schon übergriffig.
Wir leben in Zeiten, in denen es Mut erfordert, öffentlich zu kommunizieren. Gerade zu aufgeladenen Themen. Und offenbar sind heute selbst Temperaturkurven aufgeladen. Die Menge an Reaktionen aller Art ist schlicht überwältigend. Und sie konzentriert sich auf einige wenige, die diesen Mut aufbringen. Als mein Video die Schwelle von 200.000 Aufrufen erreichte, meldete sich eine große Blogplattform mit der Anfrage, es auf ihren Kanälen zu teilen. Ich verneinte. Der Gedanke, es damit gar einem Millionenpublikum direkt unter die Nasen zu reiben, unter denen nicht wenige im ganz anderen Lager stehen, schüchterte mich spürbar ein.
Ganz ehrlich: klar freut es mich, wenn meine Videos und Posts geteilt werden. Aber noch ehrlicher: Es macht mir inzwischen auch Unbehagen. Und es würde mich deshalb noch mehr freuen, wenn das nicht einfach durch Reproduktion geschieht, sondern durch Inspiration. Nicht durch Weiterleitung, sondern durch Weiterentwicklung. Statt einfach nur meine Worte zu zitieren, würde es mich viel mehr freuen, wenn Medien sie aufgreifen und eigens ausformulieren. Und statt einfach mein Video in WhatsApp-Gruppen zu stellen, fände ich es besser, wenn Menschen dort einfach selbst Worte dafür finden. Weil der Inhalt erst dadurch wirklich lebt. Und vor allem: weil der Gegenwind dann nicht auf nur einen Kopf einstürmt; sondern sich über vielen verliert.
All dies schwirrte mir in diesen Tagen durch den Kopf. Natürlich bemerkte das meine Frau. Nach etwas Zögern erzählte ich ihr davon; und von meinem Gedanken, das Video lieber erstmal nichtöffentlich zu stellen. Sie sagte, dass sie es sich mal ansehen wolle, verschwand im Nebenraum und kam drei Minuten später wieder: „Nein, lass es. Leute müssen das sehen.“
Ich kann nicht in Worte fassen, was ich nun fühle. Es ist wohl das, womit ich manchmal auch Vorträge schließe:
„Vielleicht geht es am Ende gar nicht darum, irgendein Ziel zu erreichen. Sondern einfach nur darum, das Richtige zu tun.“
Ich hoffe, ich tue das Richtige. Im Großen und im Kleinen. Ich bin nur ein Mensch. Und mein Mut hat Grenzen. Die allerdings sind verschiebbar. In beide Richtungen.
